Rede von Peter-Michael Valet im Kreistag am 21.07.2017
TOP 1 „Einlagerung von Abfällen aus dem Rückbau von Atomkraftwerken
Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Haas, Sehr geehrte Damen und Herren
Einem Bonmot zufolge, soll Wissenschaftsminister Gerhard Stoltenberg in den 60-iger Jahren auf die Frage „was machen wir mit nicht benötigten Kernkraftwerken?“ geantwortet haben „wir sprengen sie“.
Eine schreckliche Vorstellung!
Heute - gut 50 Jahre später - sind wir klüger.
Ich möchte aber daran erinnern, dass wir Grüne es waren, die jahrzehntelang nicht nur vor den Gefahren des Abbaus von Kernbrennstoffen, des Betriebs von Kernreaktoren und vor der Ablagerung der radioaktiven Reste gewarnt haben, sondern darum gekämpft haben, dass diese Risikotechnologie abgeschafft wird, während andere politische Kräfte für den Ausbau bzw. für die Laufzeitverlängerung gekämpft haben.
Wir haben jetzt den grundsätzlichen Ausstieg aus der Kernkraftwerks-technologie erreicht und es werden auch Nägel mit Köpfen gemacht:
Nach der Stilllegung, mit der Entfernung der Brennstäbe und des beweglichen radioaktiven Inventars muss zuletzt - als 3. Schritt - an die Gebäude gegangen werden.
Für uns Grüne, mit unserer Skepsis gegen Kernkraft, ist das ein neuer wichtiger Augenblick.
Wir müssen uns damit beschäftigen:
Wie werden wir mit diesen weiteren Hinterlassenschaften – mit diesen Überresten der Risikotechnologie – fertig?
Wegprotestieren genügt nicht mehr, es muss mehr unternommen werden.
Es gilt also jetzt die richtigen Schritte zu tun.
- Denkbar wäre, alle bestehenden Anlagen als Industriedenkmale stehen zu lassen, zwar ohne Kernbrennstäbe, aber mit Rest -radioaktivität in den technischen Einrichtungen und in den Gemäuern.
- Mit hohem Sicherheitsaufwand und ständiger baulicher Unterhaltung wäre das sicherlich machbar. Aber wäre das eine gute, eine nachhaltige und wirtschaftliche Lösung?
Der Bundesgesetzgeber hat deshalb Anfang der 2000-Jahre anders entschieden.
Die Kraftwerke sollten in einem mühsamen Prozess zurückgebaut und das radioaktive Inventar je nach Intensität zentral gelagert werden.
- Dieser Lösungsansatz fordert eine genaue Bewertung und Beurteilung aller Teile einer Anlage, begonnen bei den Brennstäben bis hin zum letzten Bürostuhl.
- Zwangsläufig geht damit eine Risikobewertung und -beurteilung einher.
Der Bundesgesetzgeber entschied sich u.a. dafür, dass dabei zwischen normalem Bauschutt und einer neuen Größe dem „freigemessenen Bauschutt“ unterschieden wird, dazuhin zwischen schwach radioaktivem, mittelradioaktivem und hochradioaktivem Inventar, jeweils unter Beachtung des damals gültigen Atomgesetzes , der Strahlenschutzverordnung und des damaligen Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetzes und ohne Verdünnungseffekte.
Und so sollte dann abgeräumt werden.
Für den für uns in Frage kommenden „freigemessenen Bauschutt“ kam er zur Auffassung, dass das Restrisiko von 10 µSv/a der Umwelt, also den Menschen, der Flora und der Fauna bei der Einhaltung verschiedener weiterer Randbedingungen zugemutet werden kann.
- Eine große Schwäche dieser Festlegung ist jedoch, dass sie bisher messtechnisch nicht überprüfbar ist.
Bei der Beurteilung dieses Restrisikos darf man aber schon auch unterschiedlicher Auffassung sein.
- Es gibt Menschen, die auch bei diesen sicherlich geringen Werten besorgt sind um Ihre Gesundheit, um die Ihrer Kinder, um die Natur und um die späteren möglichen Folgen.
- Die jüngsten Beschlüsse von Landesärzte – und Bundesärztekammer, die in die gleiche Richtung gehen, sind bisher nicht ausgeräumt worden.
Es ist unbillig, diese Sorgen und Ängste mit dem Hinweis, nicht ernst zu nehmen, dass der 10 µSv/a-Wert im Vergleich zur Belastung aus der der natürlichen Radioaktivität oder mit einer Röntgenaufnahme oder einem Flug in die USA sehr gering wäre.
- Es ist eine anthropogene Zusatzbelastung, die theoretisch nicht notwendig ist und daher hinterfragt werden darf und muss.
(auf Flug und Zahnarzt kann ich verzichten, der natürlichen Strahlenbelastung kann ich in Teilen ausweichen).
Diese Art der Bagatellisierung ist das Gleiche, wie wenn eine Behörde hergeht und eine Lärmquelle mit 30 oder 40 dB(A) mit dem Hinweis abtut, „der Verkehr in der Umgebung ist doch mit 78 – 80 dB(A) deutlich lauter“. Das ist für den, der unter der 30 dB(A)-Lärmquelle leidet, kein Trost und würde so auch nicht hingenommen.
Irrelevanz und deren Bedeutung sind zuerst eine Frage des Betrachters und Betroffenen, deren Einordnung mag dagegen für den Entscheidungsträger hilfreich sein, schafft das Faktum – den Sachverhalt – deshalb aber nicht ab.
- Unsere Fraktion ist in der Risikobewertung geteilter Auffassung. So auch bei der Frage, wie vorgegangen werden kann oder muss. Wir haben in zahlreichen Diskussionen, auch mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürger, darum gerungen.
- Das wird sich auch in unserem Abstimmungsverhalten niederschlagen.
Einig sind wir uns aber:
- nicht nach dem St. Florians-Prinzip vorzugehen und nicht mit falschen Vorstellungen eines Untertage-Einbaus zu werben, sondern uns mit dem auseinanderzusetzen, was uns möglich ist und zu Verfügung steht.
Auch der 3. Antragsversuch von FW und FDP, Antrag vom 18.7.2017, kann nicht ernsthaft überzeugen, außer, dass er den Entscheidungs-trägern nicht weh tut. Jeder von uns kann sich in deklaratorischer Form gegen etwas aussprechen, solange er sich trotzdem daran hält.
Wir wollen einen anderen Weg gehen:
Wenn die Unumstößlichkeit des Ablagerungskonzepts trotz den beschrieben Ängsten und Sorgen hingenommen werden soll, ist es schon sinnvoll und berechtigt, nochmals alle Schritte der Entstehung der möglichen Ablagerungspflicht zu prüfen.
- Bei der stets angesprochenen Rechtsgrundlage muss es sich nicht zwangsläufig um den richtigen Weg handeln.
Dann – wenn alles seine Ordnung hat – ist das zu unternehmen, was die Sorgen und Ängste zwar nicht völlig beseitigt, aber wenigstens verringert – also mit höchster Sicherheitsstufe, meinetwegen mit Hosengürtel und Hosenträger entsprechend den Vorgaben vor zu gehen.
Mit unserem Antrag wollen/wollten wir deshalb in der ersten Ziffer nochmals die Frage der Pflicht zur Ablagerung aufgreifen.
Herr Vorsitzender nicht das Recht, das Sie als Chef der unteren Verwaltungsbehörde haben.
Vielmehr wollen/wollten wir wissen, ob die Pflicht zum Handeln unter den gegebenen veränderten gesetzlichen Bestimmungen so gewollt war und ist. Als diese Regelung zum Umgang mit dem „freigemessenen Abfall“ entwickelt wurde, hatten wir ein anderes Kreislaufwirtsschaft und –abfallgesetz, das noch andere Möglichkeiten vorsah als die im heutigen Kreislaufwirtschaftsgesetz.
Wir wollen/wollten also wissen, ob die Väter und Schöpfer der Regelung, das im Auge gehabt hatten oder hätten oder ob das eine zufällige Entwicklung ist.
Immerhin sieht der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises wohl noch Spielraum.
Sollte es aber eindeutig so geklärt sein, dass die Regelung von heute der Vorstellung von damals entspricht, gibt es für uns Grüne nur noch zwei Möglichkeiten:
- Wir akzeptieren notgedrungen das Ablagerungskonzept auf den Deponien im Landkreis, wozu einige in unserer Fraktion bereit sind.
- Wir lehnen das Ablagerungskonzept ab und hoffen, dass als Folge der aktuellen Unruhen in der lokalen Bevölkerung die politischen Entscheidungsträger in Stuttgart und in Berlin doch noch eine befriedigende neue – mir noch unbekannte – bundesweite Lösung suchen und finden.
Wenn also die rechtliche Zulässigkeit eindeutig bejaht ist, und damit das Ablagerungskonzept umgesetzt werden soll und muss, dann ist/war der zweite Schritt unseres Antrags, den ganzen Vorgang so sicher wie möglich zu machen.
- Damit sollen – wie schon erwähnt – die Sorgen und Ängste der Menschen aufgenommen werden, die mit der Risikobewertung der Bundesregierungen nicht leben können und nicht einverstanden sind.
- Das bedeutet, dass wir über die Handlungsanleitung des Landkreistags hinaus, weitere Sicherheitsvorkehrungen erwarten, um Vertrauen zu schaffen und so wie auch immer geartete Schäden unmöglich zu machen.
Natürlich wissen wir auch dann, es gibt kein Nullrisiko, aber das Risiko als Folge der anthropogenen Strahlenbelastung wäre dann so gering wie es derzeitig technisch machbar ist.
Die Verwaltung kann ggf. bei der einen oder anderen Forderung des von uns eingebrachten Katalogs darauf verweisen, dass sie – das sind die AVL und der FB 22 des Landkreises – dies so beabsichtigen, aber ein schriftliches Bekenntnis zur Gesamtheit aller Schutzmaßnahmen als Verpflichtung in Form eines Protokolls fehlt uns.
Wir werben deshalb für unseren Antrag, um in der Streitsache zu befrieden.