video_label

Bürgergenossenschaft Wohnen

Sitzung des Kreistags am 08. April 2022

TOP 2: Bürgergenossenschaft Wohnen

Redebeitrag von Rainer Breimaier

 

Werte Kolleg:innen, Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

vermutlich gehören die allermeisten hier in diesem Saal zu den Glücklichen, die über einen ausreichenden und auch bezahlbaren Wohnraum verfügen. Und ich gestehe: Ich gehöre auch dazu. Aber genau so vermute ich, dass die Zahl derer in diesem Saal gar nicht so klein ist, die jemand in ihrem unmittelbaren Umfeld kennen, auf den das eben nicht zutrifft, der oder die händeringend mit einer an Aussichtslosigkeit grenzenden Wahrscheinlichkeit bezahlbaren Wohnraum sucht. Das ist ein Wohnraum, der vom Einkommen so viel Substanz übrig lässt, dass man damit ohne große Existenzsorgen am uns bekannten und üblichen gesellschaftlichen und sozialen Leben teilnehmen kann.

 

Wir alle wissen hier, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht quasi über Nacht über uns hereingebrochen ist, wir alle wissen auch, dass dieser Mangel sich in den letzten Jahren, besser: in den letzten Jahrzehnten Jahr für Jahr verschärft hat in der ganzen Republik, aber auch oder gerade in unserer Region und auch in unserem Landkreis. Nur ein paar besonders markante Zahlen hierzu: Das Pestel-Institut in Hannover geht davon aus, dass inzwischen rechnerisch mindestens 6,3 Millionen Haushalte für eine Sozialwohnung in Frage kämen, was etwa 700.000 mehr sind als vor acht Jahren. Deutschlandweit gibt es derzeit aber nur etwa 1,2 Millionen Sozialwohnungen. Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot hat ein dramatisches Ausmaß angenommen. Das liegt daran, dass sich die öffentliche Hand immer stärker aus diesem Markt zurückgezogen hat und diesen dem freien Spiel mehr oder weniger überlassen hat. In der alten Bundesrepublik hatten wir noch sage und schreibe fast 4 Millionen Sozialwohnungen. Wir müssen hier von einem Markt-, vor allem aber auch von einem Politikversagen sprechen, von dem man ehrlicherweise fast keine politische Kraft auf fast keiner politischen Ebene freisprechen kann. Das Ergebnis dieser Fehlentwicklung ist ein sozialpolitisches Desaster allerersten Ranges. Daran haben auch so manche neu aufgelegten Förderprogramme in Milliardenhöhe in den letzten Jahren nichts Wesentliches geändert. Die Erfolge, die man mit diesen neu erstellten Sozialwohnungen erzielen konnte, sind in der Regel durch die Zahl der Wohnungen, die aus der Mietpreisbindung herausgefallen sind, wieder zunichte gemacht worden. Damit man aus diesem Teufelskreislauf, aus diesem – bestenfalls - ewigen Nullsummenspiel rauskommt, müssten nach Berechnungen mancher Sozialverbände 160.000 dauerhafte Sozialwohnungen jährlich bis mindestens ins Jahr 2030 hinein geschaffen werden.

 

Werte Kolleg:innen, meine Damen und Herren, da sage ich ihnen nichts wirklich Neues, aber genau das ist der düstere sozialpolitische Hintergrund, vor dem wir heute über die Bürgergenossenschaft Wohnen debattieren, Beschluss fassen und – ich füge hinzu – bestehen müssen und den es durch unsere Beschlussfassung sukzessive hier bei uns aufzuhellen gilt. Und angesichts dieser gewaltigen Herausforderung kann es für jede politische Ebene nur eine Devise geben: Wir müssen klotzen, nicht kleckern, wir müssen noch mehr politische und wirtschaftliche Ressourcen generieren, damit

wir als Gesellschaft das unselige Hase- und Igel- Spiel zwischen Aufbau von Sozialwohnungen und ihrem Abbau durch Auslaufen der Mietpreisbindung für eine längere Zeit auch einmal gewinnen. Die Zielmarke von jährlich 100.000 Sozialwohnungen, auf die sich die jetzige Regierungskoalition im Koalitionsvertrag verständigt hat, ist für uns jedenfalls schon ein ermutigender Schritt in die richtige Richtung. Wobei auch hier natürlich gilt: Es kommt am Ende des Tages nur auf die Zahl der wirklich gebauten Wohnungen an, nur die lügen nicht. Zahlen auf dem Papier können verdammt geduldig sein und sind für sich gesehen wertlos.

 

„Klotzen, nicht kleckern“, das muss aber auch unser Anspruch sein, wenn wir uns heute zur Gründung der Bürgergenossenschaft Wohnen entschließen. Wir müssen groß denken, weil das Problem groß ist. Wir dürfen uns von Anfang an nicht mit ein paar Wohnungen auf ein paar Jahre und ein paar Kommunen verteilt zufrieden geben.

 

Die Bürgergenossenschaft Wohnen darf kein wohnungsbaupolitisches Feigenblatt mit ein paar wenigen Nischenprodukten werden, sondern muss für die Kommunen und für die Bürger:innen unseres Landkreises zu einem kompetenten und leistungsstarken Player für bezahlbaren Wohnraum werden oder wie es in der Satzung der Bürgergenossenschaft im § 2 Abs. 1 steht:“ Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung.“ Und das auch noch dauerhaft und nicht nur für 25 Jahre.

 

Einzelne, große Städte in unserem Landkreis haben ja eigene Wohnbaugesellschaften. Wir brauchen eine starke Bürgergenossenschaft Wohnen deshalb vor allem für die Kommunen, die diese eben nicht haben und die trotz mannigfaltiger eigener Anstrengungen in diesem Bereich mit dem zügigen Aufbau einer passenden und gesunden Substanz an bezahlbaren Wohnungen schnell an ihre Leistungsgrenzen

stoßen. Für diese Kommunen muss unsere Bürgergenossenschaft Wohnen ein Leistungsportfolio entwickeln und bereitstellen, mit dem sich ein flächendeckender Auf- und Ausbau bezahlbarer Wohnungen besser, unbürokratischer und mit einem geringeren personellen und wirtschaftlichen Aufwand realisieren lässt, als wenn man das in Eigenregie vor Ort machen würde. Ob das mit der hier vorgeschlagenen

Genossenschaftsstruktur inklusive der Geschäftsbesorgung durch den strategischen Partner „Wohnungsbau Ludwigsburg“ vom ersten Tag an perfekt funktioniert, kann niemand am heutigen Tag zuverlässig voraussagen. Zumindest in Bürgermeisterkreisen scheint dieses Modell nach unserer Kenntnis auf großes Vertrauen gestoßen zu sein, was andererseits ja auch nicht gerade sehr verwunderlich ist, weil bei der Erstellung der Genossenschaftskonzeption auch so mancher Bürgermeister mitgewirkt hat. Und das trägt selbst bei mir zu einer gewissen Zuversicht bei, denn in aller Regel sind Bürgermeister ja keine realitätsferne, notorische Tagträumer, sondern in aller Regel stets um das reale Wohl und den konkreten Mehrwert für ihre Kommunen bei jedem neuen Projekt besorgt. Nach meiner bescheidenen Erfahrung jedenfalls. Anwesende selbstverständlich eingeschlossen. Dieser Mehrwert für die Kommunen entsteht dann, wenn die Bürgergenossenschaft Wohnen auf den Grundstücken der Kommunen bezahlbaren Wohnraum erstellt und sichergestellt ist, dass die Kommunen bei der Wohnungsbelegung den Hut aufhaben.

 

Entscheidend für den Erfolg jeder Firma, jedes Vereins und auch jeder irgendwie gearteten öffentlichen Körperschaft ist: Sie braucht einen/eine, der oder die absolut für den Erfolg brennt, der antreibt, der Entwicklungen anstößt, der vorangeht und andere mitziehen kann, der Chef oder die Chefin halt. Diese Rolle ist in der hier vorgelegten Genossenschaftsstruktur zumindest nicht direkt angelegt. Aber natürlich haben wir da eine Idee: Unser Landrat muss die Bürgergenossenschaft Wohnen zu einer Chefsache, zu seiner Chefsache machen und mit seiner Energie und seinen

Netzwerken dafür sorgen, dass die Bürgergenossenschaft Wohnen eine wirkliche Erfolgsgeschichte wird und die misst sich ganz einfach in der Zahl der hergestellten bezahlbaren Wohnungen.

 

Wir wünschen der Bürgergenossenschaft Wohnen, dass sie recht bald vom Kleckern zum Klotzen übergehen kann, dass sie in naher Zukunft über eine stattliche – sagen wir - dreistellige Zahl von Sozialwohnungen verfügt und wir uns mit unserem Modell auch mit einer Kreisbaugesellschaft in unserer unmittelbaren Nachbarschaft messen können (Rems-Murr), die von ihrem Kreistag im Haushaltsjahr 2022 so mal eben frische 20 Millionen überwiesen bekam. Das ist sicherlich eine etwas andere Geschichte, aber zeigt doch auch, in welche Dimensionen es mal gehen könnte. Ob wir eine solche Dimension mit unseren jetzigen Start-Strukturen dann noch stemmen könnten, das werden wir dann ja sehen. Wenn nicht, treffen wir uns hier wieder und geben ihr die Struktur, die sie für einen noch größeren Erfolg braucht. Die Geschäfte von richtig erfolgreichen Unternehmen kann man nicht so nebenbei führen.

 

Für heute ist nur eines wichtig, nachdem alle Startvoraussetzungen – eine ausreichende Zahl an Gründungsmitglieder mit einer ausreichenden Anzahl von Grundstücken:- gesichert sind: Lasst uns loslegen mit der Bürgergenossenschaft Wohnen mit möglichst vielen Kommunen und Bürger:innen an Bord als topmotivierte Genoss:innen.

 

Wir Grünen sind dabei und stimmen den Beschlussvorschlägen zu.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

expand_less